By 13. Januar 2013 Read More →

Erhebliches Rückschlagspotential an Wall Street

Nach einer recht lustlosen Woche geht es nun bei den Quartalsberichten so langsam in die Vollen. Und der Euro lässt ein wenig die Muskeln spielen. Schlecht für die Exporte? Unfug. Denn der deutsche Aktienmarkt orientiert sich an ganz anderen Zahlen!

Als einer von drei Jungs und noch dazu Drillingen kam ich früh für einige Jahre in den Genuss, mich zu den Pfadfindern rechnen zu dürfen, die bekanntermaßen jeden Tag „eine gute Tat“ vollbringen sollten. Im Rückblick betrachtet habe ich diese Vorgabe vermutlich nicht allzu oft umsetzen können. Umso mehr gilt mein Dank nun der GEZ, die mich mit meinen Gebühren, die nun Beiträge heißen, tagtäglich der Gewissheit versichert, Geld für etwas zu spenden, das ich gar nicht nutze.

Denn ich besitze kein Fernsehgerät. Dass mit dem Programm irgendetwas faul sein müsse, fiel mir schon zu Zeiten auf, als ich noch heftig pubertierte und mit meinen Eltern zusammen am Silvesterabend mit quälend langem Unfug die langen Stunden bis Mitternacht zu überbrücken versuchte. Zur Belohnung gab es damals mit etwas Glück zu vorgerückter Stunde so etwas wie ein paar halbnackte Busen zu sehen.

Ein Kollege von mir hat einen. Keinen Busen, sondern einen Fernseher. Und in seinem Kommentar vom vergangenen Donnerstag nahm er Bezug auf eine Sendung von CNBC und einer Aussage des dortigen Berichterstatters Rick Santelli. Ich zitiere: „Am Mittwochabend äußerte er Dinge, die zwar im Prinzip von den meisten US-Bürgern unbesehen unterschrieben würden, die man aber in der Öffentlichkeit selten hört: „Wir sollten das tun, was richtig ist für das Land und nicht, was gut für den Aktienmarkt ist. Und der Aktienmarkt sollte vom Kongress nicht als Barometer dafür benutzt werden, was in diesem Land falsch läuft!“

Von jemandem, der seit ewigen Zeiten unmittelbar mit den Börsen in Verbindung gebracht wird, starke und klare Worte. Und er fügte hinzu: „Es hat 20 Jahre gedauert, um die Betrügereien von Bernie Madoff zu enttarnen. Wie viele Jahre werden die USA wohl brauchen, um zu realisieren, welcher Schaden durch die ganzen Programme der US-Notenbank angerichtet wurde?“ Zitat Ende.

Nun ist Rick Santelli keineswegs ein wirtschaftskritischer Geist oder leidenschaftlicher Querdenker. Der Mann ist Mitbegründer der ultrakonservativen Tea-Party, jenes Zweigs der Republikaner also, die partout verhindern möchten, dass US-Milliardäre und -Multimillionäre ein wenig mehr Steuern zahlen.

Was die Ideen der Tea Party betrifft, werden Herr Santelli und ich nicht zusammen kommen. Was seine zitierten Aussagen betrifft, fühle ich mich fast zitiert. Und vorausgesetzt, wir irren nicht beide, hat der Mann Recht. Wobei sich seine fundamentale Kritik ebenso gut auf Deutschland, Europa oder Japan übertragen ließe. Denn rund um den Globus haben sich die Aktienkurse als vermeintlicher Gradmesser des Zustands der Wirtschaft eingebürgert. Und „die Finanzmärkte“, deren Vertrauen man angeblich nicht aufs Spiel setzen dürfe, als das vermeintliche Ungeheuer, das gefüttert werden muss, um bei Laune gehalten zu werden. Nennen Sie es, wie Sie wollen, ich nenne es eine Massenpsychose. Eine gewollte Massenpsychose, da sich Billionen an ins Feuer gestellten Steuergeldern ja irgendwie rechtfertigen lassen müssen.

Wall Street: Völlig losgelöst

Blicken wir einmal ein wenig zurück. Anfang des neuen Jahrtausends, für das uns die Speerspitze der ITSpezialisten einen „Millenium-Crash“ der Computersysteme vorausgesagt hatte, crashte etwas ganz Anderes, nämlich die sgn. New Economy, in der windige Startups Anlegern das Geld nicht aus der Tasche zu ziehen brauchten, da von Gier geleitete Aktionäre Schlange standen, um jede Neuemission zu zeichnen.

Emfimium, Infenion oder Infineon? Egal, was die machen. Kaufen, kaufen, kaufen! Kurz nach der Neuemission erreichte die Siemenstochter bei 83,45 Euro ihr Jahreshoch, am Freitag ging die Aktie mit 6,64 aus dem Handel. Von Epcos, der zweiten Siemenstochter, die im damaligen Hype an die Börse gebracht wurde und seit November 2009 von den deutschen Kurszetteln verschwunden ist, gar nicht erst zu reden.

Lerneffekt der Anleger: Fehlanzeige. Lerneffekt der die Emissionen begleitenden Banken (sgn. Konsortialführer): null. Dann, um die Ereignisse abzukürzen, Anfang August 2007 die ersten Berichte über platzende Hypothekenkredite in den USA. Und in der Folge die Geburtsstunde der ersten „Rettungsschirme“, die wie immer das Wort „Stabilisierung“ im Namen tragen. Hierzulande der SoFFin, der mit vollem Namen „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung Finanzmarktstabilisierungsanstalt“ heißt und Anfang 2012 reaktiviert wurde, da die Stabilisierung irgendwie nicht eintreten wollte und will und der „Sonderfonds“ seit seiner Gründung (offiziell) 23 Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet hat. Offiziell, wie gesagt.

Hier kommen die Notenbanken ins Spiel. Wieder. Denn wie Tea Party Mitgründer Santelli ganz richtig bemerkte, sind ihre Aktivitäten ja keineswegs neu. Und unter der Überschrift „Füttre mich, sonst fress‘ ich Dich“, habe ich in meinem Kapitalschutzreport schon im Mai 2003 auf die verheerende Geldpolitik Alan Greenspans hingewiesen, gegen den sein seit Februar 2006 amtierender Nachfolger Ben Bernanke nur ein Wicht ist. Schulden mit neuen Schulden zu bekämpfen, ist monetärer Wahnsinn, weil sich dieses System in einer schroffen Talfahrt der Zinsen irgendwann zwangsläufig überschlagen muss. Und eine Notenbank, die in panischer Angst vor den natürlichen ökonomischen Zyklen von Auf- und Abschwung jede gesunde Selbstregulierung der Märkte auszuschalten versucht, war und ist der Weg in den Zusammenbruch eines nur noch künstlich durch virtuelles neues Geld aufgeblasenen Finanzsystems.

Der deutsche Aktienmarkt, der es aufgrund der Stärke seiner Unternehmen im DAX und erst recht(!) im MDAX und auch im SDAX gar nicht nötig hätte, folgt dennoch der Wall Street wie in Pieter Bruegels Bild „Der Blindensturz“. „Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide in die Grube.“ Was sich im Matthäus-Evangelium findet und nicht ganz dumm ist. Der Chart: Wie abhängig der deutsche Aktienmarkt von der Wall Street ist, zeigt sich in diesem rund 30 Jahre abbildenden Chart überdeutlich. Da mag die konjunkturelle Entwicklung der beiden Länder so weit auseinanderklaffen wie sie will, da mag EUR/USD bei 0,57 stehen (März 1985) oder bei 1,59 (Juli 2008), da mag es den Anschlag auf das World Trade Center geben, Zinserhöhungen oder Zinssenkungen, eine phantastische Handelsbilanz diesseits und eine miserable jenseits des Atlantiks und was weiß ich: Ausschlaggebend für den deutschen Aktienmarkt ist einzig und allein die Kursentwicklung am „Big Board“, wobei der DAX die Vorgaben der Wall Street tendenziell gerne etwas überzeichnet, also in Haussephasen stärker steigt als der DJIA, dafür im Abwärtsmarkt gelegentlich aber auch deutlich höhere Verluste aufweist.

Zurück zum Tea Party-Mitbegründer und CNBC-Berichterstatter Rick Santelli. Seine Kritik trifft ins Schwarze. Denn auf wundersame Weise hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Köpfen der meisten Politiker, aber auch Anleger die absurde Idee festsetzen können, dass die Kurse etwa des Dow Jones so etwas wie ein Barometer der amerikanischen Wirtschaft seien. Geht es dem Dow gut, kann es der Wirtschaft ja nicht schlecht gehen.

Genau das scheint auch der Grund zu sein, warum sich die Federal Reserve weit mehr auf lebenserhaltende Maßnahmen für die Wall Street als für die reale Wirtschaft interessiert. Eine Börse, die sich zunehmend von Wirtschaft und Konjunktur loslöst, läuft jedoch Gefahr, zu so etwas wie einem Potemkin‘schen Dorf zu mutieren – und sich damit in den Reigen geschönter bis gefälschter Konjunkturdaten einzureihen.

Auf immer geht das natürlich nicht. Und für die US-Wirtschaft scheint der Tag der Offenbarung schon recht nahe gerückt zu sein. Sehen wir uns das einmal an:

US-Konjunktur: Rezession dauert an

Nach offizieller Lesart ist die Rezession in den USA seit Sommer 2009 vorbei, seitdem herrscht wieder „moderates Wachstum“. Dazu einmal ein paar Charts, die uns dieses angebliche Wachstum vor Augen führen können. Wie Sie wissen, stellt der private Konsum – das haben auch die neuen Handelsbilanzzahlen aus der letzten Woche noch einmal unterstrichen, die Achillesverse der amerikanischen Wirtschaft dar, da mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts auf sein Konto gehen.

Verbraucher, die nicht in Lohn und Brot stehen, verlieren jedoch mehr und mehr die Möglichkeit, überhaupt weiter Verbraucher zu sein. Und da hilft es nun einmal nicht weiter, wenn die Arbeitslosenzahlen durch immer neue Anpassungen und sgn. Optimierungen der statistischen Erhebungsmethode künstlich niedrig gehalten werden.

John Williams von www.shadowstats.com ist es zu verdanken, dass wir diese für die US-Wirtschaft enorm wichtigen Zahlen weiterhin ungeschönt betrachten können. Und was wir sehen, ist eine Arbeitslosenquote, die sich zuletzt sogar noch einmal weiter auf nunmehr knapp über 23 Prozent erhöht hat.

Wie es bei denjenigen aussieht, die einen Job haben, zeigt sich an im Chart der Realeinkommen im Jahr/Jahr-Vergleich. Die senkrechten grauen Balken in der Abbildung kennzeichnen die offiziellen Rezessionsphasen. Wie Sie erkennen, liegen die heute verfügbaren Realeinkommen im J/J-Vergleich deutlich unterhalb der Realeinkommen, die beim Ende der letzten Rezession im Sommer 2009 erzielt wurden. D. h. Auch von dieser Seite her ist von einem Aufschwung ganz und gar nichts zu sehen. Aber vielleicht steht er ja bereits vor der Türe?

Wie es aussieht, steht da etwas ganz Anderes:

Die vom Conference Board veröffentlichten Zahlen zu den wirtschaftlichen Frühindikatoren (hier in der letzten verfügbaren Berechnung für November) haben ihr letztes Hoch schon 2010 gesehen, seitdem geht es abwärts. Faustregel hier: Drei Monate mit fallendem Indikator in Folge deuten auf eine Rezession hin. Stellt man diese Kurve vor den Hintergrund der immer besinnungsloser wirkenden Liquiditätsmaßnahmen der US-Notenbanken, wirkt sie geradezu dramatisch. Denn an der Konjunkturfront scheint sich nichts zu verbessern, aber einiges zu verschlechtern.

Bleibt der Blick auf den Immobilienmarkt, der im Sommer 2007 als erster klare Hinweise auf das aus dem Ruder laufende Kreditgefüge und die nachfolgende Misere der Banken gab.

Dieser Chart spricht für sich: Mit 373.000 Verkäufen von Neubauten im November bewegen wir uns hier in etwa auf dem Niveau früherer Rezessionstiefs (senkrechte graue Balken im Chart). Und: Beim Eintritt in die letzte Rezessionsphase hatte diese Zahl noch bei 670.000 gelegen. Quintessenz: Die amerikanische Notenbank hat ihr vorgebliches Ziel einer Wirtschafts- und  Wachstumsbelebung bis jetzt an allen Fronten verfehlt.

Der Arbeitsmarkt „verbessert“ sich zwar statistisch, nicht aber real. Die Einkommen und damit die verfügbare Kaufkraft befindet sich in der Zone zwischen Stagnation und Sinkflug, die wirtschaftlichen Frühindikatoren signalisieren neues Ungemach und der Häusermarkt kommt trotz aller Zinssenkungen und monetären Eingriffen einfach nicht aus der Misere heraus. Was der FED gelungen ist, ist die Abwendung einer neuen Pleite à la Lehman Brothers und eine Stabilisierung der Wall Street, die sich damit aber immer weiter von der Realwirtschaft entfernt und ein erhebliches Rückschlagspotential aufbaut, zumal in der FED (s. mein Beitrag der Vorwoche der Rückhalt für die Politik ders unbegrenzten billiigen Geldes zu schwinden begonnen hat.)

Viel Erfolg und beste Grüße!

Axel Retz

www.private-profits.de

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“

Posted in: Gastbeiträge

About the Author:

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“

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