By 13. Februar 2014 Read More →

Rettung in letzter Minute. Vorerst

Gut gelaufen – die Aktienmärkte haben noch einmal die Kurve gekriegt. Sieht man genauer hin, hat sich die Lage aber nur verschlimmbessert. Also sehen wir genauer hin!

Was für eine herrliche, erheiternde Woche! Das meine ich ernst, denn wieder einmal sind dermaßen absurde Dinge passiert, dass einem vor lauter Lachen das Zwerchfell wehtäte, hätten die Ereignisse nicht einen so traurigen Hintergrund. Und könnte ich einen Preis für die unglaublichste Geschichte vergeben, wüsste ich in dieser Woche gar nicht, was ich auf Platz 1 setzen sollte. Drei Stories, die zu meinen Toppfavoriten gehören, will ich Ihnen aber nicht vorenthalten.

Erstens: Den Ankauf von sgn. Steuer-CDs hatten einige Politiker immer wieder mit dem Hinweis kritisiert, dass die Regierung damit den Pfad der Rechtsstaatlichkeit verlasse und sich mit illegal beschafften Daten der Komplizenschaft schuldig mache. Wie wir nun wissen, war der tatsächliche Grund dieses Widerstands einiger dieser Moralapostel wohl eher, dass sie wussten, dass auch ihr eigener Name auf den CDs aufgeführt war.

Zweitens: US-Präsident Obamas Platz bei der gestrigen Eröffnung der Olympischen Spiele in Sotschi blieb  leer. Damit wollte der Präsident gegen Menschenrechtsverletzungen in Russland protestieren. Die seit Jahren völlig rechtlos Einsitzenden in Guantanamo, die unschuldigen Opfer von Drohnenangriffen und einige Hundert Millionen anlasslos bis tief in den Privatbereich ausgespähter Menschen dürften an dieser edlen Gesinnung möglicherweise ihre Zweifel haben.

Drittens: Am Mittwoch letzter Woche hatte der US-Präsident in seiner Rede zum „State of the Union“ vom engsten Verhältnis der USA zu Europa gesprochen, dass es je gegeben habe. Ausgerechnet Victoria Nuland, die Europa-Beauftragte von Außenminister John Kerry, die der schleichenden Entfremdung zwischen den USA und Europa entgegenwirken sollte, fiel dann gestern durch das vermutlich vom russischen Geheimdienst abgefangene und bei Youtube veröffentlichte Telefonat mit der Aussage „Fuck the EU“ auf.

Der eigentliche Witz aber: Washington, ausgerechnet Washington äußerte danach seine Empörung darüber, dass die Abhöraktivitäten des russischen Geheimdienstes einen neuen „Tiefpunkt“ erreicht hätten. Irgendetwas in dieser Welt ist gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Nicht beim sgn. kleinen Mann, sondern bei den sgn. Mächtigen. Und wie so oft (und letztlich doch zu selten), sind nun die Juristen am Drücker.

Robenträger haben‘s auch nicht leicht

Robbenträger natürlich auch nicht. Schon die leichteste Robbe wiegt rund einen halben Zentner, nach oben wird es dann untragbar. Vermutlich deswegen ist dieses überflüssige Berufsbild im Gegensatz zu anderen auch noch nie ernsthaft angedacht worden. Aber zurück zu den Robenträgern, die bisweilen auch nicht leichter zu tragen haben. Zwei interessante Fälle sind in der auslaufenden Woche neu „anhängig“ geworden, wie die Juristen zu sagen pflegen. Und zumindest einer von beiden kann auch sehr konkrete Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben.

„Wer die Gesetze nicht kennt, bringt sich um das Vergnügen, gegen sie zu verstoßen.“ Diese schöne Einsicht von Jean Genet, der damit einen Goethe-Satz umwandelte, trifft vermutlich nicht auf die Mehrzahl krimineller Steuerhinterzieher zu, für die Bundesfinanzminister Schäuble gestern erneut den Fortbestand der Selbstanzeige-Regelung einforderte. Zu den beiden neuen „Fällen“:

1. Ohne irgendjemandem irgendetwas unterstellen zu wollen, gehe ich einmal davon aus, dass der Bundeskanzlerin das Deutsche Grundgesetz bekannt ist. Der Chaos Computer Club (CCC) nebst Nebenklägern hat nun wegen der NSA-Affäre bei der Bundesanwaltschaft eingereicht. Gegen die Bundesregierung und u. a. auch gegen die Kanzlerin. Bis jetzt gibt es noch kein offizielles Ermittlungsverfahren. Insbesondere beim Vorwurf der „Strafvereitelung im Amt“ (§ 258a StGB) wird es da interessant werden, da die Bundesregierung bzgl. ihres Widerstands gegen die NSA-Überwachung bis jetzt bestenfalls durch Nichtstun und schlimmstenfalls durch Mithilfe (z. B. des BND) aufgefallen ist.

2. In einem wirklich bemerkenswerten Entscheid hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestern in Frontalstellung zur EZB gebracht. Nach Ansicht der Karlsruher, die über eine Klage zu entscheiden hatte, überschritte die Europäische Notenbank eindeutig ihren EU-gesetzlichen Rahmen, falls sie, wie von EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt, einmal unbegrenzt Anleihen „Not leidender“ EU-Staaten aufkaufen sollte.

Die bisherige Praxis, Anleihen solcher Staaten nicht direkt (von den Staaten selbst), sondern am sgn. Sekundärmarkt (also der Börse) zu kaufen, bezeichnete das BVerfG als Versuch, das Verbot der Staatsfinanzierung zu umgehen. Ich hatte das vor vielen Monaten ja bereits etwas unverblümter kritisiert: Es ist, also ob ein Vierzehnjähriger einen Achtzehnjährigen zum Wodka-Kauf in den Getränkeladen schickt und danach ausführt, dass er sich im Laden nichts gekauft und sich damit an die Gesetze gehalten habe.

Kluger- und richtigerweise hat das BVerfG den Fall nun an den in Luxemburg ansässigen Europäischen Gerichtshof durchgereicht. Nun ist der EuGH am Drücker. An sich, das lesen Laien wie Sie und ich so, ist die Sache eingentlich völlig klar: Die EZB darf keine Staatsfinanzierung betreiben. An sich, das lesen Laien wie Sie und ich ebenfalls so, verboten die Verträge von Maastricht und Lissabon auch ganz eindeutig ein „Bailout“ in Schieflage gefallener EU-Staaten.

Persönlich habe ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir uns mit diesen unseren Einschätzungen entlang des Gewollten der angesprochenen Gesetze und Verträge bewegen. Aber was für einen Schrott hat man denn bei der Einführung des Euro und der EZB-Statuten eigentlich festgeschrieben, wenn im Nachhinein jeder selbst bestimmen kann, wie es ihm in den Kram passt?

Wall Street: Rettung in letzter Minute

In der vergangenen Woche hatten wir uns ja erneut den Monatschart des Dow Jones inkl. der gewaltigen charttechnischen „Megaphon“-Formation angesehen.

Grundsätzlich ist diese Formation bearish. Aber wann ist der Zeitpunkt gekommen, um das profitabel umsetzen zu können? Sehen Sie dazu einfach den nebenstehenden Wochenchart an. Er bildet die gesamte vom Startpunkt 2009 aus gelaufene Hausse ab. Und wie sich unschwer erkennen lässt, lassen sich die Zwischentiefs dieser Aufwärtsbewegung perfekt mit einer Geraden verbinden. Und eben diese Linie hat der Dow in der vergangenen Woche erneut angelaufen, um dann in Richtung auf das Wochenende wieder etwas anzuziehen.

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Charttechnisch haben derartige Trends, das ist eine der Grundregeln, bis zum Beweis des Gegenteils als intakt zu gehen, womit es bei einem Test einer derartigen Aufwärtstrendlinie immer klüger ist, auf wieder anziehende Kurse zu setzen. Das geht, eine Binsenweisheit, so lange gut, bis es eben plötzlich nicht mehr gut geht. Und erst dieser unweigerlich näher rückende Zeitpunkt ist der Moment, an dem die Putkarte ausgespielt werden darf.

In den vergangenen beiden Wochen hatte ich ja unterstrichen, dass der von dem meisten Anlegern empfundene Flurschaden am Aktienmarkt weitaus größer war als der tatsächliche. Der Chart oben bestätigt das und gibt zumindest kurzfristig erst einmal Entwarnung.

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Das gleiche Bild findet sich auch bei der Nachfrage nach Börsenkrediten in den USA, die in der abgelaufenen deutlich gestiegen und damit ein neues Allzeithoch erreicht hat. Und wie ich immer wieder betone: Erst wenn dieser Indikator nach unten dreht, muss über eine „echte“ Abwärtswende nachgedacht werden.

Unverhofft kommt ziemlich oft. Ob die Einzelhandelszahlen aus den USA und Deutschland, ob die US-Hausverkäufe, die Einkaufsmanager-Indizes in den USA und China oder die veröffentlichten Januar-Arbeitsmarktdaten aus den Vereinigten Staaten und die deutschen Exporte – all diese Konjunkturdaten wurden in den vergangenen Wochen regelmäßig mit dem Wort „überraschend schlecht“ kommentiert.

Diesen eigenartigen Überraschungen liegt schlicht und ergreifend die durch die Hausse verursachte bullishe Voreingenommenheit der Marktteilnehmer zu Grunde. Man sieht und erwartet, was man will. Und alles andere wird ausgeblendet. Schönstes Beispiel:

Sie alle kennen den sgn. Januar-Effekt. Danach soll das Börsenjahr per Saldo so verlaufen wie der erste Monat. Ich selbst halte von diesem Indikator wenig, musste aberschmunzeln, als ich las, in diesem Jahr könne man den negativen „Januar-Effekt“ in die Tonne treten. Der gleiche Autor wäre vermutlich vor Enthusiasmus geplatzt, wenn der Januar mit gestiegenen Kursen geendet hätte. Bei diesem am Hochpunkt der Kurse weit verbreitetem Denken steht fest, was passieren wird, und die verwendeten Indikatoren werden danach aussortiert, ob sie die eigene Meinung stützen oder nicht. Umso böser wird dann später einmal das Erwachen.

Noch klammern sich die Akteure an den Aktienmärkten an das absurde Argument, dass schlechte Konjunkturdaten gut seien, da sie die Notenbanken zur Fortsetzung ihrer monetären Dauerinfusion zwängen. Der Witz dabei ist, dass jeder Anleger tagtäglich live miterleben kann, dass es den Notenbanken jedoch partout eben nicht gelingt, Wachstum zu erzeugen. Und damit öffnet sich die Schere zwischen Aktienkursen und Realwirtschaft nun einmal immer weiter. Schnappt sie einmal zu – und das wird sie – wird es die nächste „Überraschung“ geben: Die Anleger werden feststellen, dass Kurse völlig wider Erwarten auch fallen können.

Und das auch erheblich tiefer als vielleicht vermutet. Mit den beiden Charts zum Aufwärtstrend des Dow Jones und der Nachfrage nach Börsenkrediten (s. o.) haben Sie jedoch den Schlüssel der Erkenntnis für diesen Zeitpunkt in den Händen.

Weltwirtschaft: Deutliche Abkühlung

Kaum ein Tag vergeht, an dem uns die „Experten“ nicht von den phantastischen Wirtschaftsperspektiven für dieses Jahr erzählen. EZB und auch Ifo-Institut sprechen von heute als von der Zeit „nach der Krise“, IWF und OECD sehen ebenfalls den Aufschwung ante portas.

Die Einkaufsmanager in China und in den USA, also die Leute, die ihren Finger nicht an der Glaskugel, sondern direkt am Puls des Wirtschaftskreislaufs haben, sind da weit weniger vom Frohsinn beseelt. Und sieht man sich den Baltic Dry Frachtraten-Index an, der allein seit November um über die Hälfte abgestürzt ist, scheint es mit der Nachfrage nach Basisrohstoffen auch nicht gerade zum Besten bestellt zu sein. Link zum Chart.

Die Theorie, dass der Baltic Dry nur wegen des Verladestopps für Kohle in Kolumbien unter die Räder gekommen sei, ist etwas dümmlich. Kolumbien ist „nur“ der viertgrößte Kohleexporteur der Welt. Und Kohle wiederum ist nur einer von vielen Rohstoffen, die in die Berechnung des Index einfließen.

Wie es aussieht, hat sich die Weltwirtschaft in den vergangenen Monaten überdurchschnittlich stark abgekühlt. Und ich bin gespannt, wie lange Mario Draghi noch beteuern will, dass sich der Euroraum nicht auf dem Weg in Richtung einer gefährlichen deflationären Abwärtsspirale befindet.

Zusammenfassung und kleine Hinweise

Die abgelaufene Woche brachte den weltweit ausschlaggebendsten Aktienindex an den Rand der charttechnischen Katastrophe. Aber nicht weiter. Der Trend hat gehalten. Die getestete, aus 2009 stammende Aufwärtsgerade und die Nachfrage nach Börsenkrediten in den USA werden uns offenbaren, wann es Zeit ist, den Schalter auf die Putseite umzulegen.

Das kann bald sein. Denn den euphemistischen Prognosen der meistbeachteten „Experten“ stehen ganz andere, zunehmend in Richtung Rezession/Deflation weisende Fakten gegenüber, was Aktienkurse und Realwirtschaft gefährlich weit auseinander bewegt hat.

Gewinnsicherende Stopps sind in diesem Umfeld in jedem Falle anzuraten. Und wo? Als Faustformel lässt sich sagen: Eine Handbreit unterhalb dem durchaus kritischen Tiefpunkt dieser Woche.

Viel Erfolg und beste Grüße!

Axel Retz

About the Author:

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“

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