Weltindizes stehen an der Schwelle
Was die Ukraine betrifft, werden wir nach Strich und Faden gelogen. Bei der US-Arbeitslosenquote sieht es nicht besser aus. Aber börsenrelevant ist das allemal. Die Zeit des Zickzacks endet. Und das eröffnet Perspektiven.
Entweder alle Volkswirte dieser Welt haben sich im Vorfeld der gestern veröffentlichten US-Arbeitsmarktdaten für April verrechnet. Oder aber die auf 6,3 Prozent gepurzelte Arbeitslosenquote hat einen anderen Grund.
Vermutlich trifft Letzteres zu. Denn die von John Williams von www.shadowstats.com berechnete, tatsächliche Arbeitslosenquote liegt bei 23 Prozent. Und diese Berechnung dürfte richtig sein. Denn die sgn. Erwerbsquote, also die Zahl der US-Bürger, die entweder eine Arbeit haben oder aber auf der Suche nach einem neuen Job sind, ist seit Beginn der Finanzkrise kontinuierlich weiter gefallen und liegt heute mit 63,2 Prozent auf einem 35-Jahres-Tief. In einem gesunden Arbeitsmarkt aber müsste diese Quote steigen anstatt zu fallen. Und: 37 Prozent aller Arbeitslosen sind bereits seit mehr als sechs Monaten ohne Job. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1948 war die Zahl dieser Langzeitarbeitslosen nie höher. Und selbst wenn die schönen Aprilzahlen wirklich wahr wären: Über die Art der neuen Jobs sagen sie gar nichts aus.
Franz Steinkühler, bis 1993 Vorsitzender der IG Metall, hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Ich denke bei Statistik an einen Jäger, der an einem Hasen bei ersten Mal links vorbei schoss und beim zweiten Mal knapp rechts vorbei. Im statistischen Durchschnitt ergäbe das einen toten Hasen.“
Der US-Notenbank lieferte die Arbeitsmarktstatistik die gewünschten Argumente, ihren Ausstieg aus dem Anleihekaufprogramm fortzusetzen. Dass dieser Entzug der Börse auf Dauer nicht gut bekommen wird, liegt auf der Hand. Und der Tag des großen Jammers rückt näher. Noch aber ist er nicht gekommen!
Hatten wir in der letzten Woche auf die Daten zur Nachfrage nach Krediten zum Aktienkauf verzichten müssen, liegen die gestern veröffentlichten Daten nun wieder vor. Und sie zeigen nach wie vor keine Trendwende an, sondern sie bewegen sich auf Rekordniveau seitwärts. Erfasst werden hier übrigens nicht Kleinanleger, sondern die großen Mitspieler am Markt.
Bis jetzt ist diese Klientel also davon überzeugt, mit Kurssteigerungen und Dividenden die Kreditkosten locker wieder herein zu bekommen. Gegen dieses Votum darf man sich nicht stemmen, egal wie gut die Argumente auch sein mögen. Für die Kursentwicklung gibt es nur ein einziges Argument: Geld. Fließt es in den Markt, geht es nach oben, wird es abgezogen, nach unten. Die Nachfrage nach Börsenkrediten zeigt uns, was das „smart money“ tut, von dem wir wissen, dass es letztlich gar nicht so smart ist.
Von „smart money“ nur träumen können derweil die US-Arbeitnehmer. Denn die Gesamtvergütung aller privat und öffentlich Angestellten fiel im ersten Quartal auf den zweitniedrigsten Stand seit der Jahrtausendwende. Noch niedriger lag er nur im ersten Quartal 2009, also auf dem Tiefpunkt der Krise.
Kombiniert man diese Entwicklung mit der (tatsächlichen) Lage am US-Arbeitsmarkt, drängt sich die Frage auf, wer denn die für das US-BIP ausschlaggebende Binnennachfrage eigentlich auf Trab bringen soll. Diejenigen, die können, wollen nicht, und diejenigen, die wollen, können nicht. Da wird in Zukunft wohl nur noch eines helfen: Eine schöne Statistik.
NASDAQ 100: Risiko minimiert
Der im Allgemeinen als Vorläufer der Entwicklung an der Wall Street betrachtete NASDAQ 100 hat in der abgelaufenen Woche wieder Boden gut machene können. Das Risiko eines baldigen Tests der unteren Begrenzung des im Frühjahr 2009 gestarteten Aufwärtstrendkorridors ist damit erst einmal begannt, zumal der auf Wochenbasis eingestellte Momentum-Indikator seine bei 100 liegende Signalschwelle verteidigen konnte. D. h.:
Gerät die Lage in der Ukraine nicht noch weiter außer Kontrolle, ist ein erneuter Anlauf der oberen Begrenzung des Haussebandes aus heutiger Sicht wahrscheinlich. Leider lässt sich die Entwicklung dort in keiner Weise einschätzen, da sich der Westen und Russland gegenseitig vorwerfen, mit Agenten und Provokateuren vor Ort zu sein, um die Lage in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und ich vermute mal, dass beide Seiten mit ihren Vorwürfen völlig richtig liegen. Das deutsche Fernsehen wird das nicht davon abhalten, erst zu berichten und dann zu recherchieren – falls überhaupt.
RTX: Vor neuem Abwärtssignal
Kommt es entgegen dem Willen der meisten Deutschen und vor allem der Wirtschaft zu weiteren „Sanktionen“ gegen Russland, wird das Moskau durchaus treffen. Zielführend wird es nicht sein, da Präsident Putin seine Rolle als „harter Mann“ ja in wirklich jeder verfügbaren Weise kultiviert.
Schmerzhaft aber könnte es für die russische Wirtschaft werden. Ökonomisch betrachtet und am Welt-BIP gemessen, ist das Land ein Winzling. Und wie der Chart zeigt, ist der seit 2009 laufende Aufwärtsschub der meisten großen Börsen beim RTX zum Rohrkrepierer geworden. Allein seit April 2011 haben sich die Kurse wieder nahezu halbiert. Fällt das russische Aktienbarometer unter 1.500 zurück, eröffnet sich aus charttechnischer Sicht ein weiterer Abwärtsspielraum bis zur langfristigen Aufwärtstrendlinie nahe 1.200. Allzu üppig ist die Auswahl an Derivaten auf den RTX zwar nicht, aber paar ordentliche Scheine gibt es schon. Ein wenig Suchen lohnt also.
Shanghai: Gelber Drache ohne Feuer
Anders als in den westlichen Kulturen ist der Drache in China ein durchaus ambivalentes Wesen, das in der Mythologie meist gut, in Volksmärchen hingegen oft schlecht wegkommt.
Wie auch immer: An der Börse von Shanghai scheint dem Fabeltier das Feuerspucken vergangen zu sein; die Lage bleibt prekär. Während ein neuer Absturz des RTX die internationalen Aktienmärkte weitgehend kalt lassen dürfte, sieht das im Falle Chinas ganz anders aus.
Wie in der abgelaufenen Woche bekannt würde, wird das Reich der Mitte die USA als größte Wirtschaftsmacht vermutlich früher als erwartet ablösen. Und die Abhängigkeit etwa der deutschen Industrie von der Konjunktur Chinas darf teilweise (z. B. Volkswagen) als durchaus beunruhigend bezeichnet werden.
Wie Sie im Chart erkennen, geht es beim Shanghai Composite nach wie vor um die extrem wichtige Unterstützung bei 2.000 Punkten. Wird sie signifikant unterschritten, wird das Auswirkungen auch auf die aderen Börsenplätze der Welt haben. Und irgendwann werden sich auch die DAX-Akteure einmal zu fragen beginnen, warum sie sich eigentlich so eng an der Wall Street orientieren, wenn die Musik auf einem anderen Parkett mittlerweile lauter spielt.
Auch im HangSeng steht die Lage nun Spitz auf Knopf, wie Sie sehen. Auch hier genügt eine einzige schwache Woche, um das Aktienbarometer aus dem riesigen Dreieck nach unten ausbrechen zu lassen.
Die aus China kommenden Wirtschaftsdaten, von westlicher Seite immer schon unter dem vollautomatischen Generalverdacht der Manipulation stehend, dürften mittlerweile vielleicht ehrlicher sein als das, was sich die Heimatländer dieser Kritik leisten.
Und danach haben wir es in China so gut wie sicher mit der Spätphase eines Booms zu tun, auf den dann die übliche Ernüchterungsphase folgt. Die Plagiatsfreude Pekings ging (leider) so weit, westliche Wirtschaftsmodelle zu kopieren, die man besser nur in modifizierter Form übernommen hätte.
Und wo wir gerade beim Modifizieren sind: Der Grabstein des chinesischen Wachstumsmodells wird einmal die heute leicht aufgeweichte Einkind-Politik sein. Wer noch keine demographische Zeitbombe hat, für den ist das chinesische Modell eine perfekte Bauanleitung.
ZUSAMMENFASSUNG
Die Börsen haben in der vergangenen Woche ihr Abwärtsrisiko minimiert, zumindest was die Wall Street und die europäischen Märkte betrifft. Bei RTX, Shanghai und HangSeng sieht das allerdings anders aus. Diese drei Indizes bleiben stark gefährdet. Während der russische Aktienmarkt bestenfalls im Orchester mitspielt, hat China mittlerweile weltwirtschaftlich aber schon die zweite Geige besetzt. Und greift nach der ersten.
Achten Sie auf die chinesischen Indizes. Unruhige Wochen garantiere ich Ihnen. Das Schöne daran: Wir werden endlich, endlich neue Trends bekommen. 2014 war bis jetzt so spannend wie ein Jo-Jo. Bald dürfte die Armbrust zum Tragen kommen. Und an der Börse kommt so Einiges durch die „hohle Gasse“, falls Sie Ihren Wilhelm Tell noch im Kopf haben. Und da wollen auch wir ein paar Äpfelchen treffen!
Ihnen allen viel Erfolg an der Börse!
Axel Retz