By 29. Oktober 2013 Read More →

Rally der negativen Daten

Neues Allzeithoch am deutschen Aktienmarkt, Rekordlaune auch bei vielen US-Technologiewerten. Und Jubel wegen schlechter Konjunkturdaten, die den Fortbestand der monetären Geldflut sichern. Die Risiken dieser Argumentation liegen auf der Hand. Die Chancen aber auch.

 

Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, da machte ich eine bemerkenswerte Erfahrung mit einer Bank. Mit der Volksbank meiner Heimatstadt Brühl, um genau zu sein. Als die dort ansässige Filiale ihr zehnjähriges Bestehen feierte, veranstaltete sie ein nettes Gewinnspiel, bei dem es Geldpreise, Reisegutscheine und vieles andere zu gewinnen gab.

Das Spiel war witzig: Im Schaufenster der Bank war eine etwa 50 cm messende, runde Scheibe platziert, die sich in einem fort drehte. Die Oberfläche der Scheibe war komplett bedeckt mit Münzen, vom Pfennig bis hin zu 5 Mark-Stücken. Die Aufgabe bestand darin zu erraten, wie viel Geld sich auf der Scheibe befand.

Und so drückte sich halb Brühl am Schaufenster der Bank regelrecht die Nase platt, die einen bewaffnet mit Block und Bleistift, die anderen einfach nur konzentriert dreinschauend. Statt mich hier dazuzustellen, schnappte ich mir eines späten Abends meine gute alte Canon A-1, legte einen Dia-Film ein und stattete der Drehscheibe einen kleinen Blitzbesuch ab. Den Rest können Sie sich denken. Für mich drehte sich die Scheibe nicht mehr und ich konnte die auf ihr liegenden Münzen in Seelenruhe auszählen und addieren.

Bei der Preisverleihung, bei der meine Familie die größte Gruppe stellte, räumten wir fleißig ab, die Hauptpreise aber gingen an drei größere Kunden der Bank, deren Schätzungen angeblich „recht dicht“ am tatsächlichen Geldbetrag gelegen hatten. Da der Rechtsweg ausgeschlossen war, waren mir damals leider die Hände gebunden. Denn ich hätte ja beweisen können, dass meine „Schätzung“ auf den Pfennig genau war.

Nachts mit der Kamera in ein Schaufenster zu fotografieren, ist legitim. Wer hingegen die Telefone, Fax-Geräte, Handys und Mails seiner engsten Verbündeten überwacht, erinnert eher an jemanden, der mit Nachsichtgerät und Richtmikrofon in die Schlafzimmer seiner Nachbarschaft vordringt und die Intimsphäre der Bewohner verletzt.

Das Thema ist zu ernst, als dass es der Schadenfreude würdig wäre, aber Bundeskanzleramt und Innenministerium mussten offenkundig erst einmal erfahren, dass auch die Kanzlerin ausgespäht wurde, um ihr der Sache völlig unangemessenes, beschwichtigendes Aussitzen aufzugeben. Für Ihre oder meine Rechte wird man dort nicht tätig, nun aber tanzt auf einmal der Bär. Und hätten die ausgespähten 36 Staatschefs Mumm, könnten die den pathologischen Überwachungswahn der Amerikaner sehr schnell stoppen. „Defending our Nation. Securing the Future“ lautet der Claim der NSA. Und im zwölfseitigen Wertekanon der Behörde finden sich die schönen Sätze: „Honesty and integrity are core values. We recognize that national leaders and the American people at large have placed great trust in us, and we strive at all times to be deserving for that trust.“

Sehr originell. Vielleicht kann das ja mal jemand überarbeiten. Und: Niemand glaubt wohl, dass der US-Präsident vom jahrelangen Lauschangriff auf die Kanzlerin nichts gewusst hat. Schlimm, schlimm. Ebenso schlimm wäre es aber auch, wenn sich die NSA soweit „verselbständigt“ hätte, dass die tun und lassen kann, was immer sie will.

Weltwirtschaft am seidenen Faden

Die Vertagung der US-Verschuldungsproblematik und des unseligen Haushaltsstreits wird uns im Januar wieder einholen. Und bis dahin fallen die USA als „Lokomotive“ der Weltwirtschaft weitgehend aus. China: Hier wechseln sich positive und negative Konjunkturdaten in schöner Regelmäßigkeit ab, während die stimulierenden Effekte der Verschuldungsorgie in Japan ihrem Ende nahe zu sein scheinen.

Bleibt Europa. Hier aber hat die EZB in dieser Woche festgestellt, dass die Kreditversorgung trotz beispiellos niedriger Zinssätze wieder den Rückwärtsgang eingelegt hat.

Da mögen die Aktienbörsen getrost noch einmal ein paar neue Rekorde schreiben, an der Wirtschaftsentwicklung kommen sie auf Dauer nicht vorbei. Diese Erkenntnis vertritt auch Professor Eugene Fama, dem dafür vor wenigen Tagen der Wirtschaftsnobelpreis verliehen wurde. Teilen musste er ihn sich aber mit Professor Robert Shiller, der mehr oder weniger das Gegenteil Famas behauptet und die Märkte für alles andere als „effizient“ hält.

Wie bereits 1974 (Gunnar Myrdal und Friedrich Hayek) wird dieser Nobelpreis, der ja eigentlich gar kein „richtiger“ Nobelpreis ist, erneut zwei völlig gegensätzlichen Wirtschaftswissenschaftlern zuteil.

Und das wohl auch zu Recht. Langfristig sind die Finanzmärkte tatsächlich effizient, mittelfristig aber werden sie von psychologischen Extremen der Marktteilnehmer dominiert. Und mit so etwas haben wir es heute zu tun. Denn dass verzweifelte Notenbanken, die nicht mehr ein noch aus wissen, liquiditätsinduzierte Verwerfungen mit noch mehr Liquidität zu bekämpfen versuchen, kann ja auf Dauer nicht gut gehen. Und dieser majestätisch einfachen Erkenntnis verweigern sich die Anleger derzeit. Würden sie stattdessen ihren Blick einmal auf den Chart des Rogers Rohstoff-Index lenken, wüssten sie, wie es um die Weltwirtschaft bestellt ist.

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Bedenkt man, dass auch die Rohstoffpreise, die ja ein Frühindikator der konjunkturellen Dynamik sind, von der Nullzinspolitik der Notenbanken profitieren, weckt der Chart sogar Besorgnis. Denn erneut ist der Kurs an der vom 2011er Hoch ausgehenden Abwärtstrendlinie nach unten abgeprallt und nun wieder unter die seit 2009 etablierte Aufwärtstrendgerade gerutscht. Sehen wir nicht sehr bald klare Hinweise für einen neuen Treibsatz der Weltkonjunktur, dürften die Rohstoffe deutlicher unter Druck geraten. Und da die Rohstoffpreise den Aktienmärkten in der Regel vorauslaufen, müssen dann auch die Aktienkurse sorgfältig im Auge behalten werden.

BRIC: Aufpassen!

Die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) galten über Jahre hinweg als Garant der weltwirtschaftlichen Aufwärtsdynamik und waren tatsächlich in der Lage, konjunkturelle Dellen der großen Industriestaaten zu kompensieren.

Heute hat sich die Lage ein wenig verändert. Brasiliens Aktienindex Bovespa liegt rund 25 Prozent unterhalb des im Mai 2008 erreichten Allzeithochs, der russische RTX (oder auch RTS) hat seit damals 43 Prozent eingebüßt.

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Ganz anders sieht es in Indien aus. denn aktuell ist der BSE wieder genau bis an seine beiden auf gleicher Höhe liegenden Bestmarken aus 2007 und 2010 vorgerückt. Gelingt hier ein signifikanter Bruch nach oben, ist der Kurs aus charttechnischer Perspektive völlig frei. Ein Szenario, in dem wir dann mit engem Stopp in ausgewählte Aktien einsteigen können.

In China hingegen sieht es weit weniger positiv aus. Aktuell bewegt sich der Shanghai Composite fast 64 Prozent unterhalb seines Allzeithochs aus 2007, wobei sich seit 2009 eine Art Abwärtstrendkorridor gebildet hat. Bullish sieht das nun wirklich nicht aus. Und knapp unter 2.000 verläuft hier nun eine wichtige Unterstützung, unterhalb derer es für den Index recht schnell hinab bis zur aus 1994 stammenden Aufwärtstrendlinie gehen könnte, die momentan bei rund 1.500 Punkten verläuft.

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„Die“ BRIC-Staaten als Wachstumsmotor für die Weltwirtschaft und die Börsen gibt es so also nicht mehr. Indien hat das Zeug zur weiteren Aufwärtsbeschleunigung, in China hingegen über wiegen die Abwärtsrisiken, Bovespa und RTX schwimmen irgendwo dazwischen.

Für den Fokus der internationalen Anleger spielt von den genannten Indizes zweifellos der Shanghai Composite die größte Rolle. Wir tun also gut daran, den Index jetzt sorgsam zu beobachten.

DAX: Oben angekommen

Wie sich bereits in der Vorwoche abzeichnete, wollte der Deutsche Aktienindex die psychologisch wichtige 9.000er Marke sehen. Das ist geglückt, zumindest intraday. Damit aber hat der DAX jetzt auch die obere Begrenzung seines seit Frühjahr bestehenden Aufwärtstrendbandes angesteuert.

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Befeuert wird diese Hausse so gut wie ausschließlich von faktisch negativen Daten: In den USA kommt der Arbeitsmarkt nicht voran, im Euro-Raum haben sich die notleidenden Kredite spanischer Banken trotz aller Hilfen noch weiter ausgeweitet, Frankreichs Wirtschaft befindet sich in einem immer bedenklicheren Zustand. All das, so die Logik, wird die Notenbanken zur Fortsetzung ihres ultra-expansiven Kurses zwingen. Und je kritischer die Entwicklungen werden, umso besser.

Diese Art von Logik ist zweifellos alles andere als ein wirklich stabiles Fundament für eine Hausse. Und Anleger, die vor guten Wirtschaftsdaten zittern, schlechte hingegen bejubeln, kann man als mutig bezeichnen. Aber andere Adjektive treffen zweifellos besser zu.

Viel Erfolg und beste Grüße!

Axel Retz

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“

About the Author:

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“

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