Der zuverlässigste Indikator für die Wall Street
Zwischen Montags- und Freitagsschluss der vergangenen Woche lagen beim DAX 2,24 Punkte. Eine geradezu homöopathische Dosis für die Bullen oder Bären. Die Kommentierungen waren ein wenig größer konfektioniert. Erst einmal aber gibt es für uns auch weiterhin viel schönere Spielwiesen.
Zwei Dinge gleich einmal vorneweg – für den Fall, dass Sie heute ausnahmsweise vor dem Ende des Textes schlapp machen sollten, der Hund raus muss, der Keller unter Wasser steht oder wegen der Energiewende der Strom ausfällt:
Erstens: Am kommenden Wochenende wird ausnahmsweise einmal kein „Newsletter“ erscheinen, da ich terminlich anderweitig gebunden bin.
Und zweitens: Nur noch bis zum 22. September dauert es, und wir dürfen wieder zu den Urnen traben und unsere Kreuzchen machen. Das Ergebnis dieses Prozesses für die nächsten vier Jahre sollte in einer Demokratie so aussehen, dass auf der politischen Ebene dann das passiert, was die bei der Wahl obsiegende Mehrheit gewollt hat. Denken Sie, dass die heutige Politik im Großen und Ganzen das widerspiegelt, was dem am 27. September 2009 zustande gekommenen Mehrheitswillen entspricht?
Europas Wirtschaft: Im Sinkflug
Während die seit Jahren praktizierte „Rettungs“-Orgie mit all den undurchsichtigen Namen und dem für den Außenstehenden undurchsichtigen Kompetenzen und Zuständigkeiten sowohl bei Bürgern als auch beim Großteil der Parlamentarier zu einer gewissen Duldungsstarre geführt hat, lösten diese Maßnahmen bei Anlegern insbesondere am Aktienmarkt eine regelrechte Euphorie aus. Warum?
Weil Stabilität und Wachstum auf den immer schneller aufeinander folgenden Gipfelveranstaltungen zwar beständig beschworen und beschlossen wurden, sich aber einfach nicht einstellen wollten. Und das bedeutet:
Noch und noch und noch mehr frisches Geld. Ein paar kleine Haken hat das Ganze allerdings: Die EZB, deren Rhetorik ja mit „Bazooka“ und „dicker Berta“ schon seit geraumer Zeit in ihrer Wortwahl immer martialischer wurde, dürfte selbst nur zu gut wissen, dass sie hier schon lange nichts mehr steuert geschweige denn die Währung „hütet“, sondern dass sie von den Euro-Rettern am Nasenring durch die Frankfurter City gezerrt wird.
Den Effekt des Ganzen, über den sich die Haussiers so gerne selbst in die Tasche lügen, haben wir in den in dieser Woche veröffentlichten endgültigen Zahlen für die Arbeitslosenquote im Euroraum gesehen: Mit nun 12,2 Prozent hat diese Quote nun ein neues Rekordhoch erreicht. Parallel dazu kamen eine deutliche Absenkung der Wachstumserwartungen für Europa durch die OECD und eine ganze Flut neuer, negativer Wirtschaftsdaten. Der auf praktisch null abgesenkte Leitzins, Sie sehen es im Chart, hat also nicht verhindern können, dass die europaweite Arbeitslosigkeit seitdem um etwas mehr 50 Prozent gestiegen ist, während der Kontinent selbst nach offizieller Lesart überraschenderweise“ erneut in die Rezession abstürzte.
Wirtschaftswunder Deutschland
Haben Sie die gestern vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zu den Einzehlhandelsumsätzen mitbekommen? Ebenfalls „überraschenderweise“ fielen sie im April im Monatsvergleich nominal und real um 0,4 Prozent, während Volkswirte mit einem Anstieg um 0,2 Prozent gerechnet hatten. Da wollten uns die Zahlen der Nürnberger GfK doch zuvor etwas ganz anderes erwarten lassen …
Und weil der Wahlkampf ja in vollen Zügen tobt, gleich einmal zur Deutschen Bundesbahn: Das Transportvolumen im Schienengüterverkehr der DB ist nach Angaben des Unternehmens im ersten Quartal um zehn Prozent eingebrochen, weswegen der Konzern jetzt für dieses Segment die Einführung von Kurzarbeit prüft. Aber gut, wenn es mit der Binnennachfrage doch nicht so gut läuft wie häufig dargestellt – wir haben ja noch den Export.
Und der war und ist ja – anders als in den USA – das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Sehen wir uns also einmal einen Chart der Auftragseingänge aus dem Ausland an. Die Datenreihe ist hier erst bis Ende März aktualisiert, was dem Ganzen aber keinen Abbruch tut. Zwei Dinge springen hier ins Auge:
Zum einen sind sie Auftragseingänge seit ihrem Hoch im April 2010 bereits dramatisch zurückgegangen. Zum anderen fällt auf, dass DAX und Auslandsaufträge aus verständlichen Gründen in ihren Trends in der Regel eine hohe Korrelation aufweisen. Spätestens seit Anfang letzten Jahres ist das aber nicht mehr der Fall. Die Kurse steigen, die Auftragseingänge aber nicht. Alles in allem ein Wirtschaftsbild, das ein wenig von dem abweicht, was wir alltäglich zu lesen und zu hören bekommen.
Wall Street: Aufgepasst!
Ob Sie nun ein beinharter Daytrader mit Campingtoilette neben dem Schreibtisch, ein „normaler“ Spekulant oder langfristiger Anleger sind: Immer lohnt es sich, einmal einen Schritt zurück zu treten und den Blick auf das große Ganze eines langfristigen Charts zu werfen. Tun wir das einmal beim S&P 500.
Wie Sie erkennen, hat der Index nun an der oberen Begrenzung des seit Frühjahr 2009 entstandenen, rund 350 Punkte hohen Aufwärtstrendkorridors angeklopft. Das Positive daran: Der Kurs könnte (aktuell) bis 1.340 Punkte einbrechen, ohne diesen Aufwärtstrend zu zerstören. Das Negative: In aller Regel neigen die Kurse dazu, genau so etwas zu tun, sich also zwischen den beiden Begrenzungslinien eines Trendbandes hin- und her zu bewegen. In der vergangenen Woche hatte ich Ihnen dazu ja einen sehr hübschen, kurzfristigen Chart des S&P 500 gezeigt, der perfekter gar nicht sein konnte.
Dass auch der Momentum-Indikator jetzt wieder an einer solide wirkenden Widerstandslinie angelangt war, erhöht die Chance einer deutlichen Gegenbewegung des Kurses zusätzlich. Und wie Sie wissen, wird eine Kehrtwende der Wall Street ohne jedes Wenn und aber immer auch die deutschen Aktienmärkte betreffen. Passen wir also auf.
Noch ist nichts angebrannt. Und, um das klar zu stellen, haben wir auch auf Tagesbasis keine Verkaufssignale. Baissiers sollten sich jede Art von Aktionismus also derzeit verkneifen. Denn auch der zuverlässigste Indikator für die Wall Street, den ich kenne, steht derzeit ganz eindeutig im grünen Bereich: Die Nachfrage nach Börsenkrediten, die seit 2000 wirklich alle wichtigen, großen Trendwenden an der Wall Street punktgenau eingefangen hat, hat in der angelaufenen Woche eine neue historische Bestmarke erreicht.
Aber: Auf Kredit spekuliert nur, wer nicht gerade in Geld schwimmt, also die Kleinanleger. Und bekanntermaßen sind sie es, die am Ende einer Hausse als letzte an Bord gehen. Diese sgn. Milchmädchenhausse mündet dann üblicherweise in die nächste Trendwende nach unten ein. Wir können also jetzt in aller Ruhe abwarten, bis wir im S&P 500 erste technische Verkaufssignale bekommen und/oder die erste Abwärtszacke bei den Verbraucherkrediten auftaucht. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten (in der kommenden Woche aber nur in meinen Briefen, da es ja – siehe oben – ausnahmsweise einmal keinen regulären Newsletter geben wird).
Rohöl: Später tanken
In der letzten Woche hatte ich erneut zum austral. Dollar Stellung bezogen, der sich so wunderschön mit der Entwicklung der Weltwirtschaft bewegt. Und im Kapitalschutz-Brief habe ich meinen Lesern nun eine Longposition in EUR/AUD empfohlen, die einen guten Start erwischt hat. Falls Sie eingestiegen sind, sollten Sie über einen Stopp auf Kaufkurs nachdenken – da brennt dann nichts mehr an.
Brennt mit einem „n“ weniger ist nicht minder interessant. Denn in dieser Ölsorte zeigt sich, dass auch hier etwas Größeres bevorstehen könnte. Öl wie die Rohstoffe allgemein spiegeln recht gut die Erwartung der Marktteilnehmer zum weiteren Verlauf der Weltwirtschaft ab. Weswegen steigende oder fallende Ölpreise eben KEIN Kontraindikator für die Wirtschaft oder die Börse sind, sondern „prozyklisch“ verlaufen. Genau deswegen hören Sie immer wieder an Einfältigkeit kaum noch zu überbietende Argumente wie „Aktien steigen trotz anziehender Ölpreise“ oder „Börsen können von Ölpreisrückgang nicht profitieren“. Beides hängt nun einmal am gleichen Treibriemen, aber die sgn. Experten wollen es einfach nicht verstehen.
Rohöl sollten Sie jetzt auf den Schirm nehmen. Fällt der Barrelpreis der Sorte Brent unter die auch psychologisch wichtige Schwelle von 100 US-Dollar, ist ein mit einem engen Stopp versehener Put eine gute Angelegenheit. Was Öl tut, wenn es an den Börsen richtig krachen sollte (oder der S&P 500 auch „nur“ bis zur unteren Begrenzung seines Haussekorridors abdriften sollte), lässt der Chart ja erahnen.
Beachten Sie aber bitte: EUR/AUD und Öl laufen als Profiteure eines Abschwungs der Weltwirtschaft vermutlich parallel zueinander. Wer also schon Calls auf den Euro gegen den Känguruh-Dollar hat, doppelt mit Öl-Puts seine Position auf. Im nächsten Newsletter am übernächsten Samstag stelle ich Ihnen daher etwas ganz Anderes vor. Und mit dem Auffüllen des Öltanks hat es noch keine Eile. Sie haben eine sehr gute Chance, hier viel, viel billiger zum Zuge zu kommen. Und das ist für heute mein letzter Satz – bis auf das PS (was nach neuer Rechtschreibung keinen . mehr verdient. Punkt.
Viel Erfolg und beste Grüße!
Axel Retz
PS Genießen Sie in den deutschen Sommer! Wie ich auf einer Grußkarte las, ist er die schönste Woche des ganzen Jahres…
Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal private-profits. Konservative Anleger finden dort seit Jahren bewährte, treffsichere Strategien zur Outperformance der Märkte in Hausse- und Baissephasen. Aggressivere Trader finden alle notwendigen Tools, um mit kleinem Einsatz kurzfristige Gewinne zu erzielen. „Phasen, in denen sich keine Gewinne erzielen lassen, das sind die Seitwärtsmärkte. Aber sie sind nichts anderes als Unterbrechungen im Trendverhalten. Technische oder fundamentale Analyse? Für mich macht es die Mischung!“